Lieferketten sichtbar machen

Berliner Start-up unterstützt Unternehmen bei der Erfüllung des 2023 in Kraft getretenen Sorgfaltspflichtengesetztes

Ana Haberbosch ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von seedtrace, einer digitalen Plattform für Rückverfolgbarkeit und Visualisierung globaler Lieferketten. Durch Transparenz und Nachverfolgbarkeit minimiert seedtrace die operativen Risiken von Unternehmen und unterstützt sie bei der Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs).

Im ersten Teil unserer Success Story haben wir bereits von der bevorstehenden Kooperation zwischen seedtrace und den Business Scouts for Development (BSfD) erzählt. Nun ist es endlich soweit und wir können mehr zu diesem spannenden Projekt berichten: Seit Oktober 2022 bildet seedtrace ausgewählte Lieferketten von KMUs aus der Lebensmittelbranche ab. Mit dabei sind die Firmen Ecoterra, Just Spices, Midsona, Beckers Bester und Simply V (Hochland Gruppe). Ihr Produktportfolio ist vielfältig, dennoch haben sie eines gemeinsam: Sie beziehen zumindest einen Teil ihrer Inhaltsstoffe aus dem Ausland und verfügen somit über international ausgerichtete Lieferketten.

Für die über leverist.de entstandene Kooperation wurden pro Unternehmen ein bis drei Produkte ausgewählt, deren Lieferketten nachverfolgt, auf Nachhaltigkeitskriterien geprüft und visualisiert werden sollen. Die Produktpalette reicht von Macadamianüssen aus Kenia oder Maracujas aus Costa Rica über Linsen aus der Türkei bis hin zu Salz aus Frankreich und Tomaten aus China.

Zunächst bildet seedtrace die jeweilige Lieferkette ab und identifiziert sogenannte „Blackboxes“. Dabei handelt es sich um Abschnitte in der Lieferkette, über die nicht ausreichend Informationen vorhanden sind. Da manche Unternehmen nur ihre direkten Lieferant*innen kennen, kann es vorkommen, dass zwar das Ursprungsland eines Produktes bekannt ist, nicht jedoch die diversen Zwischenstationen, die dieses auf dem Weg nach Deutschland durchläuft.

Deshalb ist es in diesem ersten Schritt besonders wichtig, alle Informationen zusammenzutragen und offene Fragen zu klären:

  • An welchen Standorten wird welche Aktivität durchgeführt?
  • Wie sieht es mit den geltenden Umwelt- und Sozialstandards aus?
  • Werden bereits Nachhaltigkeitsdaten erhoben?
  • Erhalten die Produzent*innen eine faire Entlohnung?
  • Oder werden beispielsweise umwelt- oder gesundheitsschädigende Chemikalien eingesetzt?

Mit diesen und noch vielen weiteren Fragen beschäftigt sich das Team von seedtrace intensiv. „Unser Ziel ist es, jeden Schritt vom Feld bis ins Regal abzubilden. Sobald wir die notwendigen Informationen gesammelt haben, prüfen wir die nunmehr abgebildete Lieferkette auf soziale sowie ökologische Belange“, erläutert Ana. Denn abhängig vom Ursprungsland des Rohstoffes und den national geltenden Regelungen kann sich die Priorisierung der Nachhaltigkeitsstandards stark unterscheiden. Während leider im Kakao- oder Kaffeeanbau Südostasiens menschenunwürdige Arbeitsbedingungen teilweise nach wie vor ein Risiko darstellen, stehen in den Industrienationen vor allem ökologische Bedenken im Vordergrund. Sofern ein Bereich der Lieferkette als kritisch eingestuft wird, überprüft das Team von seedtrace, inwiefern der Status Quo verbessert werden kann, um Sozial- und Umweltstandards zu erfüllen.

Im nächsten Schritt werden die wichtigsten Stakeholder mit an Bord geholt, um tiefgreifendere Informationen über die Lieferkette zu erhalten. Im Austausch mit Produzent*innen und Zwischenhändler*innen versucht seedtrace herauszufinden, wie die Nachhaltigkeitsdaten verarbeitet werden, welches technologische Set-up dahintersteckt oder ob es Bedenken gibt, bestimmte Informationen zu teilen. Sobald die notwendigen Daten vorliegen, beginnt die Digitalisierung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Kommunikation von kritischen Aspekten. So wird etwa der hohe Wasserverbrauch bei der Produktion von Mandeln besonders hervorgehoben.

Die Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weiß Ana dabei sehr zu schätzen und freut sich über die durch leverist.de entstandene Zusammenarbeit mit dem Business Scouts for Development (BSfD) Programm. Neben fachlicher Expertise und Unternehmenskontakten erhält seedtrace über den Business Scout Fund auch finanzielle Unterstützung.

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Die Ergebnisse der Lieferkettendarstellung sind insbesondere vor dem Hintergrund des Deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes relevant. Denn das 2023 in Kraft getretene Gesetz möchte den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten verbessern (s. Part I für weitere Informationen). „Um ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, stehen Unternehmen unter enormem Druck, ihre Lieferketten zu prüfen. Wir unterstützen sie dabei, Transparenz zu schaffen und Risiken zu managen“, betont Ana. Dadurch ermöglicht seedtrace vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen den aus dem Gesetz resultierenden Verpflichtungen nachzukommen.

Mit dem bevorstehenden EU-Lieferkettengesetz gewinnt die Wahrung von ESG-Standards auch auf dem europäischen Parkett an enormer Relevanz. Denn die EU-Richtlinie verlangt von europäischen Unternehmen ein sorgfältiges Management der sozialen und ökologischen Auswirkungen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette. Das Gesetz schließt dabei den eigenen Betrieb, direkte und indirekte Zulieferer*innen sowie ihre Produkte und Dienstleistungen mit ein. Indem nicht nur die direkten Lieferant*innen berücksichtigt werden, geht das EU-Gesetz weit über jenes in Deutschland hinaus. “In Zukunft sollen nur noch jene Unternehmen, die die Umwelt nicht schädigen und die Menschenrechte wahren, in der EU tätig sein“, kündigt EU-Justizkommissar Didier Reynders an.

ESG und SDGs sind mittlerweile im alltäglichen Wortschatz von Unternehmer*innen aller Branchen und Sektoren integriert. Auch die jüngste Studie des UN Global Compact und Accenture bestätigt, dass Nachhaltigkeit an die Spitze der Agenda von Führungskräften gerückt ist. Während 2021 knapp vier von fünf (83%) der befragten CEOs Nachhaltigkeit als eine ihrer Kernaufgabe sahen, sind es im Jahr 2022 bereits 98 Prozent. Als Reaktion auf globale Herausforderungen setzen Führungskräfte demnach zunehmend auf die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen - und zwar in allen Bereichen: der Strategie, Unternehmensführung, Belegschaft, Lieferkette, Technologie und im operativen Betrieb.

Mit seedtrace finden Unternehmer*innen einen verlässlichen Partner, um die Risiken entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu managen. „Wir wollen Sichtbarkeit, Transparenz und Nachverfolgbarkeit entlang internationaler Lieferketten schaffen, um die Unternehmensrisiken unserer Kunden und Kundinnen zu minimieren und zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beizutragen“, so Ana. Auch für Ecoterra, Just Spices, Midsona, Beckers Bester und Simply V sind das wichtige Aspekte. Seit dem Projektstart im Oktober 2022 konnten bereits erste Erfolge erzielt werden, wie etwa die Analyse bestehender Mandellieferketten von Simply V oder das vollständige Mapping der Lieferketten von Eco Terra und Midsona (von Macadamia aus Kenia bis hin zu Reis aus Kambodscha). Peter Stahl, Vorstandsvorsitzender der Hochland Gruppe, beschreibt die Zusammenarbeit mit seedtrace wie folgt: „Das engagierte Team und die Plattform ermöglichen es uns, die Rückverfolgbarkeit entlang unserer Lieferketten auf die nächste Stufe zu heben. Gemeinsam können wir die Daten sinnvoll nutzen – für uns, unsere Partner und die Verbraucher*innen“.

Über die nächsten Monate werden auch die Lieferketten der restlichen Produkte mit Informationen gefüttert, um eine vollständige Darstellung zu ermöglichen. Dadurch werden die Unternehmen bestmöglich auf die bevorstehenden Gesetzesvorgaben vorbereitet.

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Die Business Scouts for Development (BSfD) sind als entwicklungspolitische Expert*innen in rund 40 Ländern der Welt tätig. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) beraten sie deutsche, europäische und lokale Unternehmen in entwicklungspolitischen Fragen. Außerdem fördern sie verantwortungsvolles unternehmerisches Engagement durch Kooperationsprojekte. Sind Sie an einer Zusammenarbeit interessiert? Auf leverist.de können Sie nach dem zuständigen Business Scout suchen und direkt online kontaktieren.

leverist.de ist eine kostenlose Online-Plattform, die von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) betrieben wird. Die Plattform bietet zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und vernetzt interessierte Unternehmen mit Expert*innen vor Ort.

Illustrationen & Copyright:

  • Titelbild: Reisterrassen, Kanenori, Pixabay, 2023
  • Bild 1: Risikokartierung, seedtrace, 2023
  • Bild 2: Risikokennzeichnung, seedtrace, 2023
  • Bild 3: CEO-Studie, UN Global Compact, 2023

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leverist.de hat eine Sondermaßnahme zur Unterstützung von Unternehmen in der Ukraine und Moldau sowie Hilfsorganisationen in Deutschland aufgesetzt. Mehr Informationen auf den dafür eingerichteten Sonderseiten.